Libanon

Libanon

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Landeanflug auf Beirut 1972

Libanon vor vierzig Jahren: Die Schweiz des Nahen Ostens. Vom Skilaufen zum Baden im Mittelmeer nur wenige Kilometer. 

Die schönen Reste römischer Tempel in Baalbek, uralte Hafenstädte: man, wäre das ein Reiseland! Wenn es diese Geschichte nicht hätte:

Der zerrissene „Staat“

Lief man Anfang der 70er Jahre durch Beirut, ahnte man es: Das kann nicht gut gehen! Überall kam man an total überbevölkerten, eng begrenzten Komplexen vorbei. Sie schienen nur von jungen Leuten bewohnt, die schon mal die wenigen, anders aussehenden Leute belästigten.

Wie Geschwüre verteilten sich diese Palestinensersiedlungen über die Stadt. Konfliktpotenzial lag förmlich in der Luft. Sie passten nicht in diese beschauliche levantinische Stadt am Meer.

Levante?

Religionen

Noch ein Grund, warum das Land mit 7 Mio. Einwohner nie zur Ruhe kommt, sind die 18 anerkannten Religionen in dem nur 225 km langen, aber schmalen Land (ca. 10.000 km2, ca. 4 x Saarland). Die Mehrheit waren mal die Christen. Wenn man sich die aber genauer ansieht, kann man glatt vom Glauben abfallen. Sig!

Es gibt maronitische, orthodoxe, melkitsche. griechisch-katholische, koptische, armenisch-apostolisch, protestantische Christen.

Aber dann sind da noch die sich spinnefeind gesonnenen schiitischen und sunnitischen Muslime. Drusen, Aleviten, Juden kommen hinzu. Ist bestimmt nicht vollständig. Ob jeder seinen eigenen Gott oder Allah hat? Es fällt schwer, keinen Kommentar abzugeben. Na, dann glaubt man schön und haut euch in deren Namen die Köppe ein! Tschuldigung, ging doch nicht anders…

Begehrt

Alle Völker, die je im Nahen Osten gelebt haben und noch leben, haben dieses schöne Land besitzen wollen und ausgebeutet. Das fing schon vor 40.000 Jahren, im Paläolithikum, an. Ausgrabungen nördlich von Beirut in Ksar Akil sind Spuren von anatomisch moderner Menschen zu besichtigen. War hier in der Gegend die Wiege der Menschheit?

Äonen bevor also die Hochkulturen am Euphrat und Tigris entstanden, sich Babylonier, Assyrer, Perser, Syrer und natürlich die Ägypter hier blicken ließen. Lange bevor sich die Phönizier (ca. 1550-539 v. Chr.) hier für 1000 Jahre in den Stadtstaaten Byblos, Tyros und Sidon festsetzten.

Dann kamen Griechen, dann die Römer. Alle holten sich Zedernholz für den Schiffsbau. Christen und Juden, Osmanen, Kurden, Armenier und irgendwann die Franzosen. Ist aus dem Gedächtnis geschrieben und bestimmt nicht vollständig.

Staat

Staat? Hat es eigentlich (gefühlt) nie so richtig gegeben. Nach dem 1. Weltkrieg riefen die Franzosen mit einem Mandat des Völkerbundes ein Großlibanon (fast in den heutigen Grenzen) aus. Eine wechselvolle Zeit folgte.

Erst am 22. November 1943 löste sich der Libanon von Frankreich. Das Land hatte von 1949 bis 1969 durch eine gewisse Stabilität den Ruf, die Schweiz des Nahen Ostens zu sein. Bis dato wohl die schönste Zeit des Libanon.

Kriege

Seit 1958 befindet sich der Libanon mit Israel permanent im Kriegszustand (Libanonkrise, pro-westliche Christen gegen nationalistische Moslems).

Durch den Bürgerkrieg in Jordanien (Schwarzer September 1970) wurden die PLO-Führung und -Milizen in den Libanon gedrängt. Welche Milizen da bis 1990 gegen welche Milizen kämpften, ist nur schwer nachzuvollziehen. In dadurch ausgebrochenen 1. Bürgerkrieg griffen 1976 Syrien und Israel ein. Die Attentate und Bombenanschläge sind nicht zu zählen. Die Toten auch nicht.

1982 besetzte Israel den Süden des Libanon. Sie trieben die PLO aus dem Land. Die US-Navy beschoss 1983 Stellungen der Syrer nahe Beirut. !984 tötete die Hisbollah 241 Amerikaner und 58 Franzosen. Bilanz bis 1990: 90.000 Tote, 20.000 Vermisste…


Auch Beirut hatte eine Mauer wie Berlin. Nur war sie unsichtbar. Passierscheine gab es nicht. Nur Scharfschützen auf beiden Seiten der Damaskusstraße. Die saßen auf den zerbombten  Häusern rechts und links und schossen auf alles, was sich bewegte. Diese Demarkationslinie zu überquer war schier unmöglich. Es gab nur 3 Übergänge: Im Norden, an der Ringstraße und am Hafen, wichtig, um zum Flughafen zu kommen.

Die Straße verläuft von Süden nach Norden und teilt Beirut in eine Ost- und Westhälfte. Da die Straße ja nicht mehr befahren wurde, wucherte überall üppiges Grün. Irgend wann kannte die Welt sie nur noch als Green Line.

Zu Anfang des 2. Bürgerkrieges (1975-1990) wohnten alle Ethnien mehr oder weniger friedlich nebeneinander. Irgendwann lebten im Ostteil nur noch Christen und im Westen Muslime. Die Muslime beharkten sich obendrein noch untereinander. Schiiten und Sunniten können sich nun mal nicht riechen. 

Und alle schossen munter in die Stadtmitte. Bis jede Bausubstanz zerstört war. Das Zentrum liegt in einer Senke und war so prima von jedem Punkt aus zu beschießen.

Wie schön ist doch Glaube! Alle haben sich ja sooo lieb!


Zwei Kollegen. Mit einem Horror-Job. Gerd E., mein Freund und Dieter T. Beide mitten drin. Sie kümmerten sie darum, dass die Telekommunikation am Laufen blieb. Hin und wieder berichteten sie vom Leben im Krieg. Hätte sie gerne nach Fotos gefragt, aber beide sind gestorben.


So geht es weiter. 1991 ist Syrien Ordnungs- besser: Besatzungsmacht. Israel bekämpft wieder im Süden pro-iranische Milizen und die schiitische Hisbollah. 2000 ziehen sich die Israelis wieder zurück.

So um 2003 schien es, der Libanon hätte es geschafft. Aber schlechte Regierungen und schlimmste Korruption ließen den Aufschwung schnell vergehen.

Im Februar 2005 kam es zur Zedernrevolution. Der Premier wurde in die Luft gejagt, Christen, Drusen, Sunniten, Schiiten, die USA und Frankreich schafften es, Syrien aus dem Land zu vertreiben. Was der Hisbollah nicht gefiel. 2005 demonstrierten 
500.000 gegen die UN-Resolution und dankten den Syrern. Die setzten wieder eine ihnen genehme Regierung ein. Das Land war nun gespalten in pro- und anti-syrisch. 

Zweiter Libanonkrieg, 2006. Dieses mal wird der Führer des Islamischen Dschihad und sein Bruder in die Luft gejagt. Die Hisbollah greift Israel an, die antworten stärke, die anderen noch stärker…. usw.

Zwischen 2004 und 2008 kommen mehr als 30 anti-syrische Politiker und Intellektuelle ums Leben. 2007 kämpft die libanesische Armee gegen die Fatah al-Islam. Die hatten sich wochenlang in einem palestinensichen Flüchtlingslager verschanzt.

2008 besetzte die Hisbollah Westbeirut. Im Mai 2008 mal eine Wahl. Die Außenminister von Iran, Syrien, Saudi Arabien und Frankreich waren bei der Wahl des Präsidenten dabei. Das hielt bis 2014. Es folgten 29 Monate Chaos.

Wie die Bilder auf der nächsten Seite zeigen, hatte sich zu mindest in Beirut etwas getan. Aber 2019 kam es zur Wirtschaft-, Finanz- und Regierungskrise. Nicht zuletzt ausgelöst durch die COVID-19-Pandemie.

Alles, was bis 2019 nach all den Kriegen mühsam in Beirut wieder errichtet war, flog im August 2020 durch die riesige Explosion im Hafen in die Luft. Krankenhäuser, Getreidespeicher, Kraftwerke, hunderttausende Wohnungen - unvorstellbar!

Im Januar 2022 war der Libanon ohne Strom. Irgendwer hatte eine Verteilerstation beschossen. Wie soll das Land je wieder hochkommen?

Mit einer Urlaubsreise in den Libanon sollte man vielleicht doch noch etwas warten. So um 100 Jahre vielleicht. Schade.

Green Line

Mitten drin

Revulution

Noch ein Krieg

Levante? Wer kennt das Wort schon noch. Es ist irgendwie aus der Mode gekommen. Es wäre wohl anders, hätte sich hier mal Tourismus entwickeln können. Nach dem 2. Weltkrieg gab es kaum Fernreisende, ab 1970 herrscht, fast bis heute, ununterbrochen Krieg.

Dabei ist es das schönste Land am Mittelmeer. 3000 m hohe Berge, nur 30 km vom Strand entfernt. Was machen wir heute? Ski, oder Baden? So mancher wäre nicht auf die Malediven geflogen. Nahe an Europa wäre die Levante eines der beliebtesten Ferienländer der Welt geworden.

Levante bezeichnet die Länder am östlichen Mittelmeer, „Morgenland“, da, wo die Sonne aufgeht (lateinisch: levare). Die Römer bezeichneten alle Länder östlich von Italien so.

Ebenso schein das arabische Maghreb für Nordwestafrika in Vergessenheit geraten zu sein.