Kapitel 3
Knorpelische
Kapitel 3
Knorpelische
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Haie - Selachondeei
Was es so über Haie zu sagen gibt
Weißspitzenriffhai - ziemlich neugierig - vor der Insel Kuramathi, 1988
Seit dem Devon, seit 350 Millionen Jahren gibt es Haie, seit 65 Millionen Jahren schwimmen alle jetzt noch lebenden Haiarten unverändert durch die Weltmeere - wie perfekt müssen sie gebaut sein! Ideale Stromlinienform, umhüllt von einer extrem reißfesten Haut (Reißfestigkeit von 3000 bis 4000 kg pro Quadratzentimeter), Brustflossen, die als Trag- oder Gleitflügel, als Höhen- Tiefen- oder Bremsruder genutzt werden können. Stabilisatoren gleichen die steifen Bauch-, Rücken- und Afterflossen aus. Kraftvolle, muskulöse Schwanzflossen lassen manche Hochseearten über 60 km/h schnell werden, unbegrenzt nachwachsende Zähne - kaum ein Lebewesen ist besser an seinen Lebensraum angepasst.
Entwicklung
Verteufelung
All diese Perfektion gibt es in den unterschiedlichsten Gestalten und Größen, vom 12m langen Walhai bis zum 20 cm kleinen Zwerghai, vom flachen Engelhai bis zum dünnen Krausenhai. 320 Arten von Haien durchstreifen rastlos die Meere, vom Menschen nie geliebt, ja verteufelt und verfolgt seit Jahrhunderten.
Aber Besserung ist in Sicht. Der Tauchtourismus in die entferntesten Winkel der Erde, wo Taucher und Schnorchler fast garantiert täglich Haie begegnen, sorgt dafür, dass das Bild von den primitiven Freßmaschinen langsam verblasst. Zwar stemmen sich einige professionelle Fernsehfilmer mit grausigen Bildern von Hochseehaien, die wie verrückt in Eisenkäfige beißen - wild gemacht durch eimerweise ins Wasser gekipptes Blut - noch dagegen, aber langsam setzt sich auch in diesem Medium ernsthafterer Berichterstattung und Forschung durch und es sind schon Warnungen von der Ausrottung mancher Haiarten zu hören.
An den Außenriffen der Malediven begegnete man täglich Haien. Auf vielen Inseln kann man ganz junge Haie in den flachen, warmen Lagunen oder im Wattkanal als Spaziergänger trockenen Fußes bequem vom Strand aus bei ihren Jagdversuchen beobachten. Fast immer sind es die Weißspitzen-Riffhaie , auch Weißspitzen-Marderhaie genannt (Trianodon obesus), die kurioserweise entgegen ihrem Namen schwarze Spitzen auf ihrer Dreiecksflosse haben.
Vorkommen
Sie gibt es fast ausschließlich in den flachen Gewässern in allen Korallengebieten im östlichen Stillen und im Indischen Ozean und sie sind ungefährlich, aber dafür neugierig. Ist am Riff partout nichts los, reichen oft ein paar kräftige Faustschläge auf die Wasseroberfläche, die durchschnittlich 1,5 m langen Tiere aus der Tiefe hochzulocken. Sie umkreisen den Schwimmer dann einige Male in geringem Abstand und verschwinden gelangweilt, an die komischen Gestalten dicht unter der Oberfläche gewöhnt, wieder in der Tiefe. Wohlgemerkt, so etwas sollte man wirklich nur in Gewässern veranstalten, die man genauestens kennt. Oder jetzt, 2017. Da gibt es kaum noch Haie an den Malediveninseln.
Es gibt erstaunlich wenig Haiangriffe mit tödlichem Ausgang für den Menschen. Weltweit werden jährlich zwischen 30 und 50 Unfälle dieser Art gemeldet, gemessen an Millionen und Abermillionen badender Menschen an den Gestaden der Meere sehr, sehr wenig. Viele Unfälle davon werden regelrecht provoziert. Der Taucher, der den am Tage in Höhlen schlafenden, ansich harmlosen 4m langen Ammenhai am Schwanz zieht, kann ebenso erwischt werden wie die wagemutigen Amerikaner vor Hawaii, wo es schon mal Mode war, auf Haien möglichst lange zu reiten. Natürlich werden nicht alle Haiangriffe erkannt und bekannt. Ein Land, das auf Tourismus angewiesen ist, meldet so etwas bestimmt nicht. Lapidar heißt es dann: verschollen.
Haiangriffe
Körperbau der Haie
Haihaut
Dieser im Wasser so elegant und geschmeidig daherkommende Körper liegt, gefangen an Land, wie ein Lappen herum. Keine Rippen schützen den Körper vor dem Zusammenfall, keine Knochen schützen ihn. Das Skelett des Haies besteht aus Knorpelzellen und nicht aus Knochen. Die Wirbelsäule erstreckt sich vom Kopf bis zur Schwanzflosse zur oberen Spitze und besteht aus bis zu 400 einzelnen Wirbeln.
Über die erstaunliche Reißfestigkeit der nur einige Millimeter starken Haut wurde schon berichtet. Es ist aber doch verblüffend, in Goa einen Fischer zu sehen, der sein Boot aus Palmenholz abraspelte - mit Haihaut!
Die Haut ist mit Zähnen, so genannten Placoidschuppen besetzt, winzigen Hautzähnen aus Zahnbein, das mit Zahnschmelz überzogen ist. Die Spitzen sind in Richtung des Schwanzes ausgerichtet. Haihaut ist strömungsgünstiger als lackierter Stahl im Wasser. Die Militärs denken überaus neidisch daran und wären froh, eine ähnliche Beschichtung für ihre U-Boote zu haben.
Ein Airbus 320 der Lufthansa fliegt mit einer laminierten Folie, die auf der Außenhaut aufgeklebt und der Haihaut nachempfunden ist. Das erstaunliche Ergebnis: 5 % Treibstoffersparnis. Allerdings hört man 2017 schon lange nichts mehr von diesem Experiment.
Die stark durchbluteten Kiemen sind in fünf Paar Kiemenbögen angeordnet, nur die Grauhaie haben 6 oder 7 Paare. Das durch Maul und Spritzloch einströmende Wasser reichert in den Kiemen das Blut mit Sauerstoff an und Kohlendioxid wird abgegeben. Wieder ein Grund, warum Haie ihr Leben lang immer mit rund 5 km/h schwimmen müssen.
Die Spritzlöcher fast aller Rochen- und Haiarten sind kurz hinter den Augen paarweise angeordnet. Sie dienen dem Ansaugen von Wasser zum Atmen. So können auch Haiarten die auf sandigen Böden leben, sauberes Wasser ansaugen, was anderenfalls mit ihrem unterständigen Maul kaum möglich wäre.
Kiemen
Ein weiteres erstaunliches Organ ist die sehr große Haileber . Durchschnittlich wiegt sie 8-12% des Körpergewichtes, bei Grönlandhaien sogar 20 %. Sie ist sehr öl- und vitaminhaltig. Ein Kilogramm Leber ergibt 1 Liter Tran. Die Leber ist aber nicht nur ein Energiespeicher. Sie dürfte auch noch zum Teil die Funktion einer Schwimmblase mit übernehmen, da Öl bekanntlich leichter ist als Wasser. Haie haben ja keine Schwimmblase, was sie zum ewigen Schwimmen verurteilt, um nicht abzusinken.
Leber
Maul
Das für uns so furchterregende Maul aller Haie ist stets unterständig. Es liegt also hinter der Schnauzenspitze. Mehrere hintereinander stehende Zahnreihen liegen in Kiefern aus Knorpel. Öffnet der Hai sein Maul, schiebt sich der Unterkiefer nach vorne, die Schnauzenspitze samt Oberkiefer nach oben - wehe, was dann dazwischen kommt.
Mit schüttelnden Kopfbewegungen sägen dann die ersten beiden Zahnreihen große Stücke aus dem Opfer, weniger dazu gebaut , etwa Knochen zu durchbeißen.
Schließt der Hai sein Maul, klappen die Zahnreihen nach hinten. Verliert der Hai einen Zahn, richtet sich der dahinterliegende auf und schließt die entstandene Lücke nach einigen Tagen. Übrigens ist es falsch, wenn überall zu lesen ist, der Hai müsse sich erst auf den Rücken legen, um zubeißen zu können. Sie können in jeder Lebenslage fressen.
Die Zähne des Haies gelten als Urform der Zähne aller Wirbeltiere auf der Welt. Sie entwickelten sich aus den Placoidschuppen, bestehen aus Dentin und sind mit Zahn-schmelz überzogen. Sie sind sehr hart und erreichen fast die Härte von Stahl. Anhand der unterschiedlichen Zahnformen lassen sich Haie eindeutig identifizieren.
Zähne
Schwarzspitzen-Riffhai an der Ostspitze Vilamendhoo 1997 als die lebenden Korallen noch bis an das Ufer reichten
Perfekt am Hai ist auch das Verdauungssystem. Sie müssen sehr gute Futterverwerter sein. In Gefangenschaft gehaltene Haie verbrauchen nur eine Futtermenge von 2-3 % ihres Eigengewichts in nur einer Woche. Allerdings fressen ausgehungerte Tiere in kürzester Zeit schon mal 20 % ihres Körpergewichtes. Sie kommen damit aber auch bis zu 3 Wochen aus.
Ihr Magensaft ist sehr stark. Verdaut er doch innerhalb weniger Tage sogar Blechbüchsen und löst Plastik auf. Die Verdauung muss vom Hai auf irgendeine Weise steuerbar sein, denn oft sind aus Haimägen komplette Tiere und einmal sogar der Arm einer Frau geholt worden, sieben Tage nach dem Unfall, kaum angegriffen. Aus Schlund, Magen, Mittel- und Enddarm besteht das Verdauungssystem. Schlund und Magen sind sehr dehnungsfähig und der Mitteldarm hat die Form einer Spirale wie in einem Fleischwolf.
Verdauungssystem
Haie und Rochen pflanzen sich durch innere Befruchtung fort. Das Liebesleben ist ziemlich rau und wird bei den Weißspitzen-Riffhaien mit Bildern belegt und beschrieben. Das männliche Tier verbeißt sich regelrecht in sein Weibchen um seine penisartigen Stacheln, sie liegen zwischen den Bauchflossen an der Kloake, in den After seines Weibchens einführen zu können. Sperma fließt in den Eileiter.
Je nach Haiart setzt jetzt eine unterschiedliche Entwicklung der Haiembryonen ein. Blauhaie und Hammerhaie , beide sind sehr nahe verwandt, sind lebendgebärende Haie (vivipar). Die Embryonen , ein bis zwei bei diesen Arten, liegen in Dottersäcken in Ausbuchten des Eileiters Ammenhaie und einige Katzenhaie, um nur einige Beispiele zu nenne, legen Eier, sind also ovipar; die älteste Art der Fortpflanzung überhaupt.
Fortpflanzung
Aber auch hierüber ist das Wissen nur sehr unvollkommen. Bisher wurde nur ein einziges 30 cm langes Ei eines Walhaies gefunden. Eikapseln der Katzenhaie sind länglich und durchsichtig. Sie haben an den Enden Fäden ausgebildet, mit denen sie sich an Tang, Seegras usw. verankern können.
Grauhaie, Sandhaie, Riesenhaie und andere sind ovovipar, d.h. sie legen zwar Eier, diese entwickeln sich aber schon im Laib der Mutter bis zur Schlupfreife. Die eigentliche Geburt erfolgt wenn die Embryonen voll entwickelt sind. Naturgemäß wissen wir am wenigsten über die Sinnesorgane der Haie. Auf der Hochsee sind sie nicht über längere Zeiträume zu beobachten und in Gefangenschaft können wir ihnen nur sehr unvollkommene Lebensbedingungen bieten. Fest scheint aber zu stehen, dass sie mehr als nur 5 Sinnesorgane haben. Ob es 6 oder 7 sind, ist noch ungewiss.
Fressreiz
Hans Hass hatte schon in den fünfziger Jahren die Idee, Gezappel von verletzen Fischen auf Tonband aufzunehmen und den Haien vorzuspielen. Er löste damit bei ihnen den Fressreiz aus. Heute, mit weiterentwickelten Geräten, kennt man die Frequenzen, auf die Haie reagieren.
Werden Frequenzen mit genau 60 Hertz (Schwingungen pro Sekunde) mit Unterbrechungen ausgesandt, wird jeder Hai aus der Umgebung angelockt. Bei einem Dauerton wartet man vergebens auf ihr Erscheinen. Bis aus 400 m Entfernung lassen sich mit diesen rhythmisch gesendeten niederfrequenten Tönen noch Hochseehaie anlocken.
Schwarzspitzenriffhai im intakten Riff vor Kuredu, Westspitze, Januar 1998. Im April 1998 ist das gesamte Riff durch den El Niño abgestorben. Die Riffdächer sind auch 2012 immer noch zu 99% tot. So einen Anblick gibt es nicht mehr.
Sinnesorgane
Gesicherte Kenntnis besteht über das Gehirn der Haie. Gemessen an Knochenfischen ist es recht groß, aber einfach aufgebaut. Erstaunlich ist auch, dass es keine großen Unterschiede zwischen den Gehirnen der einzelnen Haiarten gibt. Die Augen der Haie haben eine große Lichtempfindlichkeit, aber doch wohl keine allzu große Sehschärfe. Tiefseehaie brauchen auch kein Farbsehen, was eventuell bei einigen oberflächennah lebenden Arten möglich ist.
Einige Arten (Blauhai, Hammerhai) haben noch ein drittes, undurchsichtiges Augenlid, das zum Schutz über das Auge gezogen wird. Zum Weitsehen nimmt das Auge, was übrigens einen viel größeren Blickwinkel als unser Auge hat, eine andere Stellung ein als beim Nahsehen. Versuche haben gezeigt, dass bis 15 m der viel stärker ausgeprägte Geruchssinn den Hai an seine Beute heranführt, es aber ab 3 m auf das Sehvermögen ankommt, ebenso auf den 6. Sinn, ein elektrisches Ortungssystem, die " Lorenzinischen Ampullen ".
Die Nasenlöcher liegen unter der Schnauzenspitze, bei Hammerhaien an den breiten Kopfenden. Die Leistung der Riechorgane ist fast unvorstellbar. Blut und Fischöl können noch in einer Konzentration von 1 zu 1 1/2 Millionen ausgemacht und geortet werden. Haien, den in Versuchen ein Nasenloch verstopft wurden, können einer Spur nicht folgen und geraten in eine Kreisbahn.
Zwei Gerüche aber, so weit bis jetzt bekannt ist, können Haie nicht ausstehen: den Geruch von sich zersetzenden, toten Artgenossen und den Geruch von einem Sekret der Mosesscholle Pardachirus marmaratus . Dieses Phänomen, dass es etwas gibt, was selbst die gierigsten Fresser unter den Haien angewidert ausspucken, wurde 1972 von der amerikanischen Zoologin Dr. Eugenie Clark in Israel im Golf von Eliat entdeckt. Die Hoffnung, daraus ein wirksames Haiabschreckmittel zu entwickeln, hat sich bis heute leider nicht erfüllt. Und ist überhaupt nicht mehr nötig. Haie sind am Aussterben. Kein Japaner schießt einen amerikanischen Flieger mehr über den Pazifik ab, oder umgekehrt.
Wahre Feinschmecker sind die großen Räuber bestimmt nicht. Zwar nehmen sie, vor die Wahl gestellt, von gleich großen Brocken lieber Thunfisch- als Muschelfleisch, welches sie angewidert ausspucken. Aber im mit Recht so gefürchteten Fressrausch verschlingen sie einfach alles. Der Mageninhalt gefangener Haie beweist es immer wieder. Vom Autoschild über Konservendosen, vom Hund bis zur Möwe, alles Mögliche und Unmögliche findet sich dort wieder. An lebend gefangenen Haien abgeleitete Elektrokardiogramme lieferten den Beweis für ein weiteres Sinnesorgan. Haie können die bioelektrischen Felder wahrnehmen, die alle Lebewesen umgeben. Der einmillionstel Teil eines Voltes (0,000 000 1 Volt) war die geringste Spannung, die Haie noch sicher orten können. Eine erstaunliche Leistung.
Doch scheint der Hai diese Töne gar nicht mit dem eigentlichen Gehör wahrzunehmen, sondern mit einem anderen Sinnesorgan, der Seitenlinie, eher zu fühlen. Das Ohr nimmt wohl nur höherfrequente Töne auf. Es ist ähnlich dem des Menschen gebaut, allerdings ohne Gehörknöchel und Trommelfell. Das innere Ohr endet über einem Gang in einer Pore am Kopf des Haies. Das Ohr ist auch für den Gleichgewichtssinn zuständig und bildet zusammen mit der Seitenlinie eine Einheit.
Wasser leitet Schwingungen, also Töne und Druckwellen, rund 5 mal schneller als Luft. Wie oben beschrieben, können niederfrequente Schwingungen mit der Seitenlinie richtiggehend ertastet werden. Seitenlinien haben alle Fische längs des Körpers auf beiden Seiten ausgebildet. Sie sind mit einer Flüssigkeit gefüllte dünne Kanäle, meist dicht unter der Haut gelegen.
Sie laufen vom Schwanzende bis zum Innenohr und stellen ein hochempfindliches Ortungssystem dar. Lange nicht so empfindlich reagieren Haie auf Berührungen für diese Empfindung. Dafür scheinen die paarigen Rückenmark-nerven zuständig zu sein. Die berührte Stelle kann nur schlecht ausgemacht werden. Auch scheint das Schmerz-empfinden, wie wohl bei allen Fischen, nicht groß zu sein.
Erstaunlich ist auch, dass dieses Sinnesorgan schon im 17. Jahrhundert von dem Italiener Steffano Lorenzi entdeckt und nach ihm benannt wurde: die Lorenzinischen Ampullen. Das sind winzige mit Gallert gefüllte Kanäle, die dicht unter der Kopfhaut entlangführen, durch Membranen in kleine Ampullen unterteilt sind und durch die Hautporen aus dem Wasser die Informationen aufnehmen können. Vermutet wird weiterhin, dass dieses Sinnesorgan auch noch als Tiefenmesser und als Temperaturfühler dienen kann.
So gut wie nichts ist über den vermuteten 7. Sinn der Haie bekannt, die Savischen Blasen . Im vorderen Teil des Kopfes liegen Sehnenplatten in vollkommen abgeschlos-senen Blasen an denen Nervenstränge enden. Es gibt nicht einmal eine Vermutung, welcher Leistung die Savischen Blasen fähig sind.