BERLIN - MITTE

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  Berlin
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Alles Mitte, oder was?

Vom Schloss Bellevue zum Hackeschen Markt

Nördlich des Straßenzuges 17. Juni / Unter den Linden

Rund um die Oranienburger Straße:


Tucholskystraße und Ebertsbrücke

Tucholskystraße

Mittlerer Teil zwischen August- und Oranienburger Straße

Seit 1827 hieß sie Artilleriestraße, nichts Ungewöhnliches in einer preußischen Garnisonsstadt. 


Den Namen von Kurt Tucholsky, 09.01.1890 bis 21.12.1935, Lieblingsdichter des Autors, trägt die Straße seit dem 31. Mai 1951.

April 2007
Tucholsky- Ecke Auguststr. Warum hat es so etwas im „realexistierenden Sozialismus“ nie gegeben? Wollten die nicht gut leben?
April 2019
Vorne die Oranienburger Straße, hinten die Auguststraße und das alles bestimmende Gebäude des Postfuhramtes.
Dezember 2007

War das in der Nachkriegs- und DDR-Zeit ein tristes Viertel hier in der Spandauer Vorstadt.


Nur wenige Läden, klein und unscheinbar, hatten offen, aber Geschäfte, gar Restaurants gab es nicht. Alles war Grau in Grau mit zerschossenen Fassaden des Endkampfes um Berlin. 


Jetzt herrscht hier ein ziemlich buntes Treiben...

Fassade des Postfuhramtes in der Tucholskystraße

Sozialismus

Das Haus Tucholskystraße 26

Die Menschenverachtung des DDR-Regims am Beispiel eines Hauses in der 
Spandauer Vorstadt
Januar 1998
So wie auf dem Foto sah es überall im Viertel aus. Nicht nur hier, sondern in ganz Ostdeutschland. Es waren schier menschenunwürdige Wohnverhältnisse durch ein Missverhältnis zum Eigentum.

Während die Landesfürsten von eigenen Gnaden des Arbeiter- und Bauernstaates in Villen in Wandlitz mit spießbürgerlich vergoldeten Badezimmergarnituren saßen, mutete man den Bürgern so etwas zu.

Kein Wunder, dass die eine Mauer gebaut haben. Sonst hätten sie sich ein neues Volk suchen müssen.
Januar 1998
Tucholskystraße 26

Die Geschichte des Hauses

Erbaut: 1857

Grundfläche: 482 Quadratmeter 

Besitzerwechsel: 1902. Ein Vorfahre hatte mit einer Mühle auf dem Prenzlauer Berg Geld verdient.

Werkstatt auf dem Hof: Zahnärztliche Instrumenten Fabrik. In Betrieb bis 1945. Der Inhaber wurde zu Unrecht 1945 bei den Russen denunziert und im KZ Oranienburg 1946 umgebracht. Die Fabrik verschwand spurlos.

Enteignung 1953: Die drei Erben mussten die Erbschaft ausschlagen da sie zufällig im „Amerikanischen Sektor“ wohnten.

Mieteinnahmen 1945-2006: Keine, aber horrende Forderungen der Wohnungsbaugesellschaft. Rückgabe: 2003
Der traurige Nussbaum in der Mitte des Hofes soll schon 1945 so mickrig ausgesehen haben
Ob es stimmt? Angeblich konnte, wer solch eine leerstehende Wohnung fand, diese in Besitz nehmen und hinterher legalisieren.
Alle Dias sind vom Januar 1998
Wenn man als Kind in den zwei Welten zwischen Ost und West vor dem Mauerbau  aufgewachsen ist - und das hier erlebt hat - brauchte einem niemand etwas über „Sozialismus, ewige Völkerfreundschaft“ usw. erzählen.

Auch bis jetzt gab es keinen, der irgendwelche Vorzüge
Hinterhöfe zur Oranienburger Straße hin
dieses Systems plausibel erklären konnte.

Kapitalismus

Mai 2021
Dem „real existierenden Sozialismus“ nachtrauern? Nee. danke!
Klar, jetzt gilt bestimmt Gentrifizierung - aber mit eigenem S-Bahn-Anschluss.
Gentrifizierung
Es gibt Leute, die haben zu viel Geld. Es sind zwar wenige, aber sie wissen nicht wohin damit. Banken nehmen Negativzinsen, die Steuer ist hinter ihnen her. Sie geben das Geld „Heuschrecken“ wie z. B. Blackrock. Die haben dann soviel davon, dass sie ganze Staaten kaufen könnten. Rendite muss her.

Was ist für die eine Million? Die geben das für so eine Ruine locker aus, renovieren, verkaufen dann den Quadratmeter für 5.000 oder 7.000. Das sind bei 2.000 qm dann - ach, rechne Sie doch alleine!

Oder es werden 30 qm, parterre, Hinterhof (an´ne Mülltonne!) für nur 1.200 pro Monat vermietet. (Wat sachte Zille: Lass de Blume stehen! Spiel mit de Müllkästen!)

Schöne neue Welt!
Nördlicher Teil zwischen Tor und Auguststraße
Mai 2021
Blickrichtung Torstraße. Auch hier sind die Spuren des Sozialismus total getilgt. Dafür dürften sich die Mieten ins nicht mehr Zumutbare gesteigert haben.

Südlicher Teil zwischen Oranienburger Straße und Ebertsbrücke

Mai 2021
Ehemaliges Fernsprechamt Tucholskystraße 16-20 (Beschreibung hier)
Dieses Bauwerk dominiert den südlichen Teil der Tucholskystraße. Für heutige Berliner Verhältnisse unvorstellbar, wurde der Art-déko-Bau in nur 2 Jahren (1926-1927) aus gebrannten Klinkern hochgezogen. 

Weitere Beschreibung des großen Komplexes siehe Ziegelstraße.

Die Fassade erinnert an das Chilehaus in Hamburg, Backsteinexpressionismus der 1920 Jahre.

Blick von der Ebertsbrücke nach Norden der Tucholskystraße entlang. Links hinten, vor dem Postfuhramt, verläuft die Oranienburger und hinten, vor dem weißen Haus, die Auguststraße.

Dezember 2007
Blick in die Tucholskystraße nach Norden

Viel hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Nur, dass sich die Mieten verdoppelt oder verdreifacht haben?

Mai 2021
Dezember 2006
Leo-Baeck-Haus, Tucholskystraße 9
Das Leo-Backhaus wurde 1906/07 erbaut. Es ist nach einem Rabbiner, der hier von 1912 bis 1943 lehrte,benannt. Es steht unter Denkmalschutz. 

Es war ab 1907 die Hochschule des Judentums ,bis die Nazis an die Macht kamen.

Die DDR nutzte es als Wohnhaus. In den 90er Jahren wurde das Haus zurückgegeben.

Seit dem 1. 4.1999 ist der Zentralrat der Juden nach kompletter Sanierung wieder Eigentümer .
Mai 2021
Leo-Baeck-Haus
Bemerkenswert an diesen Bauten: Da waren die Lichtschalter dicker als die Wände.
April 2007
Die letzte „Luxusplatte" kurz vor der Brücke über die Spree.

Tucholskystr. 2: Berlin-Dependance Google 

Mai 2021
März 2014
Gelände der ehemaligen Frauenklinik der Charité 
Juli 2015
Tucholskystraße 2 von der Spree aus gesehen
Mai 2021
Verwaltungsbau der ehem Frauenklinik der Charité. 1880-83, Gropius und Schmieden
Google hat sich 2019 hier eingemietet. Mehr als 300 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Zwar bleibt die Deutschlandzentrale in Hamburg, aber Berlin kann froh sein, dass die Firma überhaupt hier geblieben ist. „Aktivisten“ hatte sie ja aus Kreuzberg vertrieben.
Mai 2021
Original wieder hergestellter Eingang

Ebertsbrücke 

Mai 2021
Ebertsbrücke zwischen der Tucholsky- und Geschister-Scholl-Straße 

Historie

Erste Brücke 1820

Die erste Brücke an dieser Stelle baute 1820 ein Privatmann, Herr Ebert, Eber´s Brücke eben. Und so heißt sie noch heute Ebertsbrücke. Sie war aus Holz, nur 5.25 m breit und ließ sich in der Mitte für die Lastensegler aufklappen.

Finanzieren sollte sie sich aus Brückenzoll. Den trieben Kriegsinvaliden ein wie an der Glienicker Brücke zur Zeit Schinkels beschrieben. Der Brückenzoll betrug ein „Sechser“*

Aber schon 1825 hatte Berlin von privaten Brücken die Nase voll und kaufte die Brücke auf. Bald war die schmale Brücke mehr  ein Verkehrshindernis denn eine Spreequerung.

Zweite Brücke 1895

1895
Das Foto ist aus Wikipedia. Es ist gemeinfrei. 
Die zweite Brücke wurde 1895 fertiggestellt. Sie war aus Stein und immerhin 17 m breit. Der große Bogen überspannte 29,6 Meter. Schmiedeeiserne Geländer und Granitverblendungen gaben ihr ein feudales Aussehen. Die Berliner lästerten aber über die „Ebertsköpfe“, die die Sockel der Leuten zierten und an den ersten Erbauer erinnern sollten. 

Dritte Brücke 1936

Die dritte Brücke wurde 1836 zusammen mit dem S-Bahn Tunnel fertiggestellt. Nach der Gründung Groß-Berlins 1920 platze die Stadt aus allen Nähten. Die Olympischen Spiele standen an.
Was die Ebertsbrücke mit der S-Bahnlinie S1 verbindet
Mai 1945
Das Foto ist aus Wikipedia mit der Lizenz CC BY-SA 3.0 de der File:Fotothek df pk 0000128 004.jpg
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Alles war verloren, alles egal. Die Russen standen vor der Brücke. Die Wehrmacht sprengte sie. Nutzlos natürlich, wie der gesamte Krieg. 

Durch die Brücke in der Spree war der Schiffsverkehr unterbrochen. Die Spreekähne aus dem Spreewald kamen nicht mehr durch. Sie versorgten bis on die 50er Jahre die Stadt mit Obst und Gemüse. 

Eine der Anlege- und Verkaufsstelle war am Nordufer gleich hinter der Weidendammer Brücke.

Also bekamen die russischen Pioniere die Aufgabe, den Fluss frei zu räumen. Sie sprengten die größten Teile. Was sie aber nicht wußten, war, dass der Tunnel der Nord-Süd-S-Bahn genau unter den Pfeilern der Ebertsbrücke verlief. 

Nicht ganz geklärt ist jedenfalls, ob der Tunnel schon voll Wasser war, oder erst durch die Sprengungen beschädigt wurde.




Mai 2021

Mysteriös 


Bald nach Kriegsende verbreiteten sich Gerüchte, dass im S-Bahnhof viele Menschen ums Leben gekommen sein. Hatten sie vor den Bombenangriffen  hier Schutz gesucht? jeder hatte davon gehört, keiner kannte Fakten

Jetzt ist zu lesen, dass man einen Not-Latzaretzug in S-Bahnwagen im Tunnel fand, als er im Februar 1946 leer gepumpt wurde.

Darin sollen sich um die 100  Leichen befunden haben. Sie sollen in den letzten Kriegstagen und nicht durch das Wasser gestorben sein. Die Rote Armee hatte kein Interesse dadran, dass so etwas in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) bekannt wurde
Es ist in etwa der gleiche Standort wie oben auf dem Bild von 1946. Nur 75 Jahre später.
Dezember 2006
Wie auch immer. Der ganze Tunnel stand zu Kriegsende unter Wasser. War es ein Bombentreffer im Landwehrkanal? Oder kam das Wasser durch die Sprengungen der Roten Armee hier rein? jedenfalls rollte der Verkehr schon 1947 wieder. Sogar mit „Geisterzügen“. Sie mussten von 1963 bis 1991 ohne Halt unter Ostberlin hindurfahren.

Vierte Brücke 1992

Mai 2021
Behelfsbrücke seit 1992 - weil da die Weidendammer Brücke überholt wurde. Provisorien halten in Berlin scheinbar länger als Neubauten. 
Die vierte Brücke von 1992 sollte ja nur für 2 Jahre hier stehen, Als Notbrücke aus alten Brückenteilen sollte sie den Verkehr der Friedrichstraße während der Renovierung der Weidendammer Brücke flußabwärts auf nehmen. Es konnten die alten Fundamente genutzt werden. Dieses Mal lief der S-Bahntunnel nicht voll.

Aber da wir hier in Berlin sind, können Notbehelfe schon mal länger halten als Neubauten.

Literaturverzeichnis Berlin

Literaturverzeichnis Berlin